„Menschen, die selbst Hilfe brauchen, gingen für andere an ihre Grenzen!“

Katastrophenhilfe
„Menschen, die selbst Hilfe brauchen, gingen für andere an ihre Grenzen!“

Pastoren leisten Soforthilfe für Flutopfer in NRW

Die Hochwasserkatastrophe Mitte Juli in Nordrhein-Westfalen kostete viele Menschen das Leben und richtete Schäden in Milliardenhöhe an. Vom Schicksal der Betroffenen berührt, schlossen sich sechs Pastoren aus Baden-Württemberg zusammen, um vor Ort seelsorgerliche Betreuung zu leisten. Welche Eindrücke sie von ihrem Hilfseinsatz im Flutgebiet mitnehmen und was sie dabei am meisten bewegte – darüber berichtet Pastor Nicola Ardito.

Zum Zeitpunkt, als ich diesen Artikel schreibe, brennt es in etlichen Ländern Südeuropas. Ich erinnere mich an meinen Vater, der mir beigebracht hat, Respekt vor den Naturgewalten zu haben. Feuer war in der Gegend Italiens, wo ich aufgewachsen bin, am meisten gefürchtet. Es sei sehr gefährlich, wurde mir als Kind regelmäßig gesagt ... Nachdem ich in Nordrhein-Westfalen das Szenario kurz nach der Hochwasserkatastrophe mit eigenen Augen gesehen habe, muss ich diese Ansicht überdenken. Nie hätte ich gedacht, dass Wasser so eine Zerstörungskraft haben kann: Die Hälfte einer Autobahnspur war zusammen mit massiven Brücken und Häusern weggespült worden. An manchen Stellen sah man kilometerlang Schutt aufgestapelt und tausende Autos (das ist keine Übertreibung!) lagen an unterschiedlichen Orten wie Kartoffelsäcke aufeinander.

Es waren kaum Menschen unterwegs, als wir in Bad Neuenahr-Ahrweiler ankamen. Dafür fand man überall Spielzeug, Gartenutensilien und viele weitere Dinge, die eigentlich an einen anderen Platz gehörten. Ein unangenehmer Geruch hatte sich breit gemacht und mich überkam der Gedanke: „So muss es im Krieg ausgesehen haben ...“

Helfen bedeutet mit anpacken

Nur wenige Tage zuvor hatten wir bei der Pastorentagung für die Menschen gebetet, die fast alles in der Flut verloren haben. Ihr Schicksal berührte uns. Wir wollten Hilfe leisten und den Betroffenen vor Ort Mut machen. Die Baden-Württembergische Vereinigung unterstützte dieses Vorhaben. Deshalb entschlossen sich kurzerhand sechs Pastorenkollegen, gemeinsam ins Katastrophengebiet zu fahren. Der Plan: Personen in Not beistehen – mit vollem Körpereinsatz, aber vor allem auch seelsorgerlich.

Schnell wurde nach der Ankunft klar, dass der Bedarf mit anzupacken akut war. Also nahmen wir die ersten beiden Tage zusammen mit anderen Freiwilligen in einem Großzelt gespendete Güter entgegen. Von Stromgeneratoren und Gaskochern über Schaufeln, Besen und Kleidern bis hin zu Müsliriegeln und anderen Lebensmitteln war alles dabei. Auch jede Menge Hygiene-Artikel wie Duschgel und Flaschen mit Trinkwasser hatte man hier abgegeben, die nun sortiert und verpackt werden mussten. Knapp hundert Meter weiter hatte eine Organisation, deren Mitarbeiter normalerweise Events veranstalten und daher in der Gegend gut vernetzt sind, eine Tankstelle zur Ausgabestation umfunktioniert. Hier konnten sich Betroffene je nach Bedarf Hilfspakete abholen.

Was uns dabei beeindruckte: Viele Privatpersonen aus ganz Deutschland nahmen zum Teil mehrere tausend Kilometer Fahrt auf sich, um im Rahmen ihrer Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten. So kam zum Beispiel ein Caterer vorbei, der die Helfer mit einer warmen Mahlzeit versorgte. Oder ein anderer junger Mann, der uns erzählte, dass ihn vor knapp zwei Jahren ein ähnliches Schicksal getroffen hatte. Die Freundlichkeit der Fremden beeindruckte ihn damals so sehr, dass er nun auf eigene Kosten einen Sprinter angemietet, diesen mit Decken, Werkzeug und vielem weiteren vollgepackt hatte und damit losgefahren war.

Wie sich später durch Gespräche herausstellte, steckten überraschend viele Freiwillige, die vor Ort im Einsatz waren, selber in keiner einfachen Lage und hatten Hilfe nötig! Zum Beispiel lernten wir eine alleinerziehende Mutter kennen, die für ihre Kinder eine Betreuung organisiert hatte, um zwei Mal die Woche beim Sortieren der Spendengüter zu helfen. Aller Umstände zum Trotz wollte sie ihre Zeit und Kraft einsetzen, um für andere da zu sein! Das zu sehen, bewegte uns sehr. Da manche Mitarbeiter sogar über ihre Grenzen gegangen waren, forderte man uns immer wieder auf, regelmäßig Pausen zu machen und genügend zu trinken, um nicht zu kollabieren.

Menschlichkeit, die Herzen bewegt

Wenig später zogen wir dann, mit Schaufeln ausgestattet, auf eigene Faust los, um im besonders vom Hochwasser betroffenen Nachbardorf unsere Hilfe anzubieten. Dankbar wurde diese von einigen angenommen; und während wir gemeinsam Schutt wegräumten, Putz von Wänden entfernten und Keller von Schlamm befreiten, erzählten uns die Menschen, was ihnen widerfahren war. Dabei bekamen wir viele traurige und tragische Geschichten zu hören ... So erzählte uns ein Hausmeister vom Schicksal einer Bewohnerin im Rollstuhl. Sie lebte im Erdgeschoss und hatte keine Möglichkeit, der Flut aus eigener Kraft zu entkommen. Ein anderer Mann berichtete, dass er sich und seinen Sohn auf ein Dach retten konnte, aber seine Frau und Tochter von den Wassermassen weggerissen wurden. Einmal sprach mich eine Dame an und fragte, ob ich auf ihr Fahrrad aufpassen konnte – es war das Einzige, was ihr geblieben war. Strom gab es bisher noch keinen im Ort, deshalb wollte sie eine Zeitung kaufen, um zu erfahren, was auf der Welt passierte und welcher Tag eigentlich war. Einige dieser Menschen fanden zwar bei Nachbarn oder Familie eine Unterkunft, waren jedoch so traumatisiert, dass sie erst Wochen nach der Flut an ihren zerstörten Wohnort zurückkehrten, um das Übriggebliebene aufzusammeln.

Nach so einer Katastrophe zeigten sich etliche erstaunt darüber, dass noch Wochen später so viele Personen kostenfrei und bedingungslos Hilfe leisteten! „Das kann kein Zufall sein“, sagte uns ein überzeugter Atheist in diesem Zusammenhang und ergänzte bei einem längeren Gespräch mit meinem Kollegen Viktor Ott: „Anscheinend muss es ein höheres göttliches Wesen geben – woher sonst sollte so viel Gutes in Menschen herkommen?“

Trotz des großartigen Einsatzes verschiedener Hilfsorganisationen beim Wiederaufbau ging es nur langsam voran und Hilfe ist immer noch notwendig. Auch der Bedarf an seelsorgerlichen Gesprächen wird voraussichtlich mit der Zeit zunehmen. In einigen Fällen ergab es sich, dass wir tatsächlich nicht nur handwerklich helfen konnten. Nach der Frage, wie die Personen mit dem Erlebten fertigwerden und wie es für sie weitergeht, konnten wir oftmals ein Wort der Ermutigung sprechen und manchmal, wenn sich Menschen offen zeigten, sogar ein Zeugnis geben.

Für mich waren diese vier Tage eine Erfahrung, die mich für immer begleiten wird. Was mir dabei erneut bewusst wurde: Ein Leben als Christ bedeutet, sich von Gott zum Segen für andere gebrauchen zu lassen. Jesus hat uns diese selbstlose Liebe zu Menschen vorgelebt. Seine Hingabe möchte ich lernen und mich ihm, egal wo, zur Verfügung stellen. Dann kann im praktischen Einsatz die Hoffnung, die mich erfüllt, auch im Herzen von anderen Wurzeln schlagen.

 

INFO: Hilfe nach der Flutkatastrophe ist weiterhin gefragt

Mit der jahrelangen Erfahrung in Katastrophenhilfe übernimmt ADRA die Abstimmung von Sachspenden und die Einsatzkoordination von freiwilligen Helfern (Gruppen und Einzelpersonen). Wer sich im Laufe der kommenden Monate bei ADRA für Einsätze zur Verfügung stellen möchte, erhält über folgende Webseite weitere Informationen: www.adra.de/flut

Spendenkonto von ADRA Deutschland e.V.
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Stichwort: Hochwasser

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