Zwischen Regierungstreue und Querdenken

Leben
Zwischen Regierungstreue und Querdenken

Gibt es biblische Prinzipien, die uns als Kirche Orientierung geben?

Während die einen sich für die strikte Einhaltung von Infektionsschutzmaßnahmen einsetzen, fordern andere, dass wir auf Querdenker-Veranstaltungen für Anbetungsfreiheit einstehen. Die Coronakrise hat uns als Freikirche kalt erwischt und jetzt schon einen Riss in unseren Gemeinden hinterlassen. Wie die Leitung der Baden-Württembergischen Vereinigung auf dieses spannungsgeladene Diskussionsfeld reagiert und welche biblischen Prinzipien uns Orientierung geben können, beschreibt Eugen Hartwich hier.

„Du könntest dich auf die (Querdenker-)Bühne stellen und für alle hör- und sichtbar sagen: …“ Dann beschreibt das Gemeindeglied freundlicherweise, was ich im Namen der Freikirche der Siebenten-Tags-Adventisten in Baden-Württemberg den Zuhörern und der Regierung mitteilen sollte. „Falls es danach Schwierigkeiten gibt, müssten wir [also die Adventisten in Baden-Württemberg] das eben ertragen.“ Nur wenige Tage später klingelt das Telefon. Ein anderes besorgtes Gemeindeglied artikuliert uns ganz klar seinen Standpunkt zu den Hygienemaßnamen der Regierung und fordert uns auf, diese Vorgaben genau einzuhalten. Falls nicht, dürften wir mit einer Anzeige rechnen.

Das ist nur ein kleiner Einblick in das, was ich die letzten Monate erlebt habe. Nicht nur einmal habe ich mir in dieser Zeit gewünscht, von irgendjemandem gezwickt zu werden, um aus dem aktuellen (Alb-) Traum aufzuwachen. Aber jedes Mal finde ich mich wiederholt in der neuen Normalität wieder, wo ein Virus unsere Lebenswirklichkeit immer noch massiv beeinträchtigt. Dass mittlerweile ein Riss auch durch unsere Gemeinden und Familien geht, dürfte die Wenigsten überraschen. Schließlich haben bestimmt schon einige eine Diskussion über die Sicht zur Coronakrise und den Maßnahmen der Regierung geführt und dabei eine buchstäbliche Spaltung zwischen den Beteiligten erlebt. Auch wir in der Vereinigungsleitung haben in den vergangenen Monaten das volle Spektrum an Meinungen, Ratschlägen, Emotionen und Vorwürfen mancher unserer Geschwister abbekommen. Nicht selten wurde auch die Frage gestellt: „Was ist eigentlich eure Position? Seid ihr die Regierungstreuen oder die Querdenker?“

Auf der Suche nach biblischen Prinzipien

Um diese Fragen zu beantworten, kann ich keinen vorgefertigten Abschnitt aus der Gemeindeordnung zitieren. Auch gibt es keinen 29. Glaubenspunkt zur Coronakrise und wie man die Maßnahmen bewerten und sich korrekt verhalten sollte. Selbst die Aussagen Jesu in Lukas 21,11 über Hungersnöte und Seuchen haben wir bis jetzt meistens mit afrikanischen Ländern assoziiert. Jetzt aber treffen die damit verbundenen Auswirkungen und Maßnahmen unsere Lebenssituation und beeinflussen diese auf eine fundamentale Art und Weise zum Negativen. Man könnte es auch so sagen: Die Coronakrise hat uns als Siebenten-Tags-Adventisten kalt erwischt! Wir hatten ein solches Szenario einfach nicht auf dem Schirm.
So führte mich meine persönliche Suche nach Antworten zur Heiligen Schrift und den Aussagen von Ellen White. Denn ungern wollte ich meine eigene Meinung aufgeben und zu allem, was die Regierung artikuliert und beschließt, Ja und Amen sagen. Gleichzeitig wollte ich als Vertreter unserer Freikirche nicht auf den fahrenden Zug der Querdenker aufspringen, zumal auch keiner weiß, wohin die Reise mit den unterschiedlichen Vertretern dieser Bewegung und deren breitgefächerten Ansichten am Ende geht. 

Fündig wurde ich im Leben und Dienst von Daniel. Eine Krise hatte 605 v. Chr. sein Leben verändert. Doch mit Gottes Hilfe machte er das Beste daraus! Er war der Obrigkeit untertan und gehorsam und akzeptierte bestimmte Vorgaben, die er sicherlich nicht alle für sinnvoll erachtete. Dazu zählen die Veränderung seines Namens „Daniel“ („Gott ist mein Richter“) in die heidnische Bezeichnung „Beltschazar“ („Möge Bel sein Leben erhalten“). Des Weiteren musste er ein dreijähriges Studium der babylonischen Wissenschaft absolvieren. Aber Daniel sagte nicht zu allem Ja und Amen. Seine Grenzen lagen dort, wo die Vorgaben der Regierung ein klares Gebot Gottes übertraten. Weder wollte er die unreinen Speisen verzehren (Dan 1,8) noch eine Person anbeten (Dan 6). Damit lebte er das biblische Prinzip: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29).

Der öffentliche Gottesdienst war durch die Zerstörung des Tempels in Jerusalem nicht mehr möglich. Somit konnte man Gott im Gottesdienst weder anbeten noch zu seiner Ehre singen. Die babylonische Regierung hatte das den Juden buchstäblich unmöglich gemacht. Doch solange Daniel Gott privat anbeten konnte, war seine Glaubensfreiheit gewährleistet. Die längste Zeit seines Lebens war Daniel ein Staatsdiener. Seine Zeit nutzte er, um sich für das Wohl der Gesellschaft einzusetzen, anstatt der Obrigkeit ständig vorzuwerfen, wie inkompetent sie sei oder was sie alles falsch mache. Gleichzeitig scheute er sich jedoch nicht, zur gegebenen Zeit der Obrigkeit den Willen Gottes zu offenbaren und auf moralische Verfehlungen hinzuweisen. Daniel konnte vor Königen stehen, weil er es gelernt hatte, vor dem König des Universums zu knien! Dabei offenbarte er eine demütige Einstellung und bat Gott für sich und sein Volk um Vergebung. Schlussendlich vergaß Daniel in der neuen Normalität in Babylon nicht, die prophetischen Vorhersagen zu studieren. Denn er wusste, dass Babylon eines Tages fallen und das Volk Israel endlich frei sein würde, um Jerusalem wiederaufbauen zu können.

Was bedeutet das im Hinblick auf Coronamaßnahmen?

Die Prinzipien aus dem Leben von Daniel können uns in der Zeit der Coronakrise Orientierung geben. Grundsätzlich macht die Bibel deutlich, dass Menschen auch heute aufgrund der Übertretung der Gesetze Gottes krank werden können. Denn Tod, Leid und Krankheit sind aufgrund der Übertretung Adams in unsere Welt gekommen. Gleichzeitig berichtet die Bibel auch von ansteckenden Krankheiten (z.B. Aussatz in 3. Mose 13). Menschen, die unter einer solchen Krankheit litten und klare Symptome zeigten, mussten sich auf die Anordnung Gottes hin in Quarantäne begeben, um andere nicht anzustecken. Auch wenn die Coronakrise uns unglaublich herausfordert, sollten wir versuchen, das Beste daraus zu machen und den Fokus auch weiterhin auf unseren Missionsauftrag (Mt 28; Offb 14) zu legen. Denn genauso wie wir befinden sich unsere gewählten Vertreter in der Regierung in einem großen Kampf zwischen Licht und Finsternis. Auch sie können sich für das Gute oder das Böse entscheiden und somit unser Leben positiv oder negativ beeinflussen. Damit wir ein ruhiges und ausgeglichenes Leben führen können, sind wir aufgefordert, für die Regierung zu beten (1 Tim 2,1-2) und ihren Anweisungen Folge zu leisten (Röm 13; Tit 3,1).

Das Gesetz Gottes gilt aber nicht nur für Christen, sondern für alle Menschen und steht somit auch über menschlichen Verordnungen. Diese verlieren dann ihre Gültigkeit, wenn sie im Widerspruch zu Gottes Geboten stehen (Apg 5,29). Allerdings glaubt unsere Freikirche nicht, dass Maskentragen im Gottesdienst Sünde, Götzendienst oder eine Anbetung des Teufels ist, wie das manche behaupten. Auch achtet die Regierung die Religionsfreiheit der Kirchen, während andere Einrichtungen schließen müssen. Deshalb können unsere Gottesdienste mit einem gültigen Infektionsschutzkonzept durchgeführt werden. Die dadurch von manchen Geschwistern empfundene Einschränkung im Gottesdienst stellt noch keine grenzüberschreitende Einschränkung unserer Anbetung dar; es ist damit also nicht gerechtfertigt, dass wir als Freikirchenleitung dazu aufrufen sollten, die Maßnahmen des Infektionsschutzkonzeptes in öffentlichen Räumen nicht umzusetzen.

Eine solche Einschränkung wäre dann gegeben, wenn uns verboten werden würde, Gott nicht nur öffentlich, sondern sogar in unserem privaten Bereich, wie bei Daniel, anzubeten. Genau wie Daniel sollten wir deshalb das prophetische Wort im Fokus behalten. Denn als Freikirche glauben wir, dass in naher Zukunft die Anbetungsfrage in Bezug auf den Ruhetag eine entscheidende Rolle spielen wird. Wie nie zuvor sollten wir deshalb jetzt dem Beispiel Daniels folgen und das Gebet mit unseren Glaubensgeschwistern suchen.

Freiheiten und demokratische Grundrechte

Als Vereinigungsleitung sind wir von der Regierung verpflichtet, unseren Kirchengemeinden ein aktuelles Infektionsschutzkonzept zu senden, unabhängig davon, ob wir die Maßnahmen befürworten oder nicht. Wir haben eine Informationspflicht und müssen dieser nachkommen. Über die Sinnhaftigkeit solcher Infektionsschutzkonzepte und weiterer Maßnahmen – wie die Kontaktbeschränkung bei gesunden Personen, Ausgangssperren, Quarantäne von symptomfreien Personen, damit verbundene Zwangseinweisungen oder Einschränkungen des Bewegungsradius – können deutsche Bürger im Rahmen ihrer Grundrechte diskutieren und sogar dagegen protestieren. Denn ein klarer Unterschied zwischen Daniels Zeit und unserer ist der, dass wir in einer Demokratie leben! Somit haben wir als deutsche Bürger das Recht, unsere persönliche Meinung friedlich zu äußern. Glaubens-, Meinungs-, und Versammlungsfreiheit sind nämlich demokratische Grundrechte und sollten auch als solche geachtetet werden. Darüber hinaus bieten uns Wahlen die Möglichkeit, unsere Regierung zu bestätigen oder Veränderungen zu initiieren. Auch steht es jedem Bürger frei, mit den gewählten Vertretern in Kommunikation zu treten und seine Zustimmung oder Ablehnung zu diversen Entscheidungen zu äußern. Wir können sogar groß denken und uns weiterbilden, damit wir uns in den beratenden und legislativen Gremien betätigen und an den Gesetzgebungen dieses Landes beteiligen können.1

Für uns als Adventgemeinde gab Ellen White damals schon im Hinblick auf den Umgang mit weltlichen Autoritäten einen wichtigen Rat, den wir uns zu Herzen nehmen sollten: „Von manchen unserer Brüder wurden viele Dinge gesagt und geschrieben, die so interpretiert werden, als würden sie gegen Regierung und Gesetz sein. Es ist ein Fehler, wenn wir auf diese Art und Weise Missverständnisse ermöglichen. Es ist nicht weise, ständig Fehler der Verantwortlichen der Regierung zu offenbaren. Es ist nicht unsere Arbeit, Personen oder Institutionen zu attackieren. Wir sollten äußerst vorsichtig sein, um nicht zu verstehen zu geben, dass wir uns in Opposition zu den weltlichen Autoritäten begeben. Wir sollten aus dem, was wir von uns geben, und schreiben jede Formulierung herauslöschen, die so missverstanden werden kann, als würden wir uns in Gegnerschaft zu Recht und Ordnung begeben. Alles sollte sehr gut abgewogen werden, damit wir nicht als solche bemerkt werden, die zur Auflehnung gegen unser Land und seine Gesetze ermutigen. Es wird die Zeit kommen, in der wir als Verräter behandelt werden, weil wir biblische Wahrheiten unterstützt haben; aber lasst uns diese Zeit nicht schneller herbeiführen durch unratsames Agieren, das Feindschaft und Unmut hervorruft. Die Zeit wird kommen, in der unbedachte Ausdrucksweisen von einem anklagenden Charakter, die unvorsichtig von unseren Brüdern ausgesprochen und geschrieben wurden, von unseren Feinden verwendet werden, um uns zu beschuldigen. Diese unbedachten Ausdrucksweisen werden nicht nur verwendet werden, um die zu verurteilen, die sie ausgesprochen haben, sondern werden gegen die gesamte Adventgemeinde eingesetzt werden. Unsere Ankläger werden sagen, dass an diesem oder jenem Tag einer unserer Verantwortlichen dieses oder jenes gegen die Durchsetzung der Verordnungen dieser Regierung gesagt hat. Viele werden überrascht sein, wie vieles aufbewahrt und in Erinnerung behalten wurde, das den Argumenten unserer Feinde Gewicht geben wird. Lasst also unsere Arbeiter vorsichtig sein, zu allen Zeiten und unter allen Umständen bedacht zu sprechen. Mögen sich alle davor hüten, durch leichtsinnige Äußerungen eine trübselige Zeit hervorzurufen noch vor der letzten großen Krise, welche die Seelen der Menschen auf die Probe stellen wird.2

Unserem Nächsten in Not beistehen – das ist unser Auftrag

Bei all der Diskussion über Regierungstreue und Querdenken sollten wir aber in erster Linie die Menschen nicht vergessen, die in den letzten Monaten an SARS-CoV-2 erkrankt sind. Die meisten hatten leichte Verläufe. Andere hingegen sind aufgrund eines schweren Verlaufs in große Not geraten oder sogar gestorben. Unser Mitgefühl sollte allen Menschen auf dieser Welt gelten, die mit den gesundheitlichen Folgen des Coronavirus leben müssen. Darüber hinaus wollen wir auch die nicht vergessen, die von anderen Krankheiten und Seuchen betroffen sind (Mt 24,7) oder mit den finanziellen und psychischen Folgen des Lockdowns zu kämpfen haben. Praktische Nächstenliebe, wie Jesus sie vorgelebt hat, ist unser Auftrag und kann sich darin äußern, dass wir uns bewußt um Menschen kümmern und versuchen, ihre Not zu lindern.

Bin ich als Vertreter der Siebenten-Tags-Adventisten in Baden-Württemberg auf der Bühne der Querdenker aufgetreten, wie manche es sich gewünscht haben? Ich habe mich für einen anderen Weg entschieden. Gleichzeitig empfehle ich jedem, Krisenzeiten als Chance zu nutzen, um Menschen im Sinne Jesu mit der Hoffnungsbotschaft zu erreichen – und das über Menschenansammlungen hinaus. Das kann auf die unterschiedlichste Art geschehen, wobei sich neben dem Buch Vom Schatten zum Licht auch anderes Missionsmaterial zum Verteilen als wertvoll erwiesen hat.
 
Bestehen wir darauf, dass jedes Gemeindeglied alle Vorgaben der Regierung genau einhält – ansonsten würden wir Anzeige erstatten? Auch hier möchte ich einen anderen Weg wählen. Denn letztlich sollte jeder seine Entscheidungen eigenverantwortlich treffen und nicht Richter bei anderen spielen. Was ich allen Gemeindegliedern und Pastoren ans Herz legen möchte, ist, in Krisenzeiten wie diesen Gottes Wort und die Schriften von Ellen White zu studieren und die darin getroffenen Aussagen, auch in Bezug auf die Regierung, ernst zu nehmen und umzusetzen.

Denn genau wie Daniel leben auch wir in dieser Welt in einem Exil. Als Adventisten wollen wir die Zeit nutzen und uns für das Wohl unserer Mitmenschen einsetzen. Denn jeder ist sicherlich in irgendeiner Form von dieser Krise betroffen. Wir sollten uns nicht entmutigen lassen, sondern die Nähe zu unserem Heiland suchen. Nicht mehr lange, dann wird Christus wiederkommen. Dann können wir mit Daniel endlich nach Hause, in das Neue Jerusalem, das Christus für uns erbaut hat.

Quellen:

1 Ellen White, Intellekt, Charakter und Persönlichkeit, Bd. 1, S. 379
2 Ellen White; Councels to Writers and Editors, S. 68-69

 

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