„Ziel ist es, jungen Menschen Leuchtkraft zu geben!“

Bildung
„Ziel ist es, jungen Menschen Leuchtkraft zu geben!“

Adventistische Schule neu gedacht

Macht es einen Unterschied, ob junge Menschen auf eine adventistische Schule gehen? Hinterlässt adventistische Schulbildung einen Fußabdruck in ihrem Leben? Oder ist alles derselbe Schulkuchen mit ein bisschen religiösem Puderzucker obendrauf? Markus Witte, Abteilungsleiter Erziehung & Bildung, hat sich diesen Fragen gestellt und erklärt, inwiefern das adventistische Schulkonzept in Baden-Württemberg neu gedacht wird, damit Kinder und Jugendliche auf das Wesentliche im Leben vorbereitet werden.

Die Schule hatte erst vor wenigen Wochen wieder begonnen. Es war Essenspause. Jeden Tag betete die Lehrerin der Klasse 1/2 mit allen Kindern. So auch heute. Hannah war dieses Ritual inzwischen sehr vertraut, sie liebte den Moment. Doch diesmal fragte die Klassenlehrerin, ob eines der Kinder für das Essen beten wolle. Hannah meldete sich sofort. So ging es Tag für Tag, Woche für Woche. Mehr als ein halbes Jahr lang – Hannah wollte unbedingt beten. Irgendwann fragte Hannah ihre Klassenlehrerin, ob sie eigentlich wisse, warum sie jeden Tag beten wolle? Freudig schaute ihre Lehrerin sie an, sie war gespannt. Dann sagte Hannah: „Weil wir zuhause nicht beten und ich so gern mit Gott sprechen möchte. Ich möchte lernen, mit Gott zu reden!“

Erlebnisse wie diese sind für die Lehrer an unseren adventistischen Bekenntnisschulen keine Seltenheit. Und sie machen mir immer wieder aufs Neue bewusst: Kinder sind individuelle Wesen, eigene Charaktere. Schule strahlt Licht aus. Sie gibt dann Leuchtkraft, wenn Schule mit Gott verbindet, Fokus erzeugt, ganzheitlich wirkt, Charakter prägt, bereit macht zu dienen.

Unser pädagogischer Fußabdruck – Glaube macht schlau

Doch welchen Fußabdruck hinterlässt adventistische Schulbildung tatsächlich im Leben von jungen Menschen? Rituale sind wichtig für Kinder, sie prägen und geben Struktur: die Morgenandacht vor dem Unterricht, das Gebet zum Essen, der Religionsunterricht. Guter Einfluss, lichte Momente. – Ist das alles, wodurch sich adventistische Schule positiv von öffentlichen Schulen unterscheidet? Was bleibt und macht einen Unterschied?

Im Dialog mit Eltern aus adventistischem Umfeld wurde mir vor einiger Zeit folgender Eindruck gespiegelt: Adventistische Schule sei wie ein Kuchen. Er schmecke ähnlich wie andere Schulkuchen auch – mit dem Unterschied, dass noch ein wenig religiöser Puderzucker darüber gestreut würde.

Unterschwellig schwingt bei Eltern die Sorge mit, dass adventistische Schule nicht die gleiche Qualität bietet. Beruht dieser Eindruck auf Fakten oder ist es eher ein Bauchgefühl? Ist es wichtig, ob unsere Kinder auf eine adventistische Schule gehen? Können kleinere Schulen mit weniger Wahlmöglichkeiten dennoch eine sehr gute Lernumgebung bieten?

Dr. Elissa Kido, Pädagogik-Professorin an der La Sierra Universität, USA, war vor wenigen Monaten als Referentin auf der Lehrerfortbildung unserer Schulen in Baden-Württemberg. Sie leitet das Forschungszentrum für Adventistische Schulbildung in Riverside, Kalifornien. In einem ihrer zentralen Forschungsvorhaben, der „CognitiveGenesis“-Studie, ging sie vor Jahren der Frage nach, wie adventistische Schulbildung im Vergleich zu öffentlichen Schulen und anderen Privatschulen abschneidet. Mit kognitiven Leistungstests zur Messung der allgemeinen Intelligenz sowie standardisierten Schulleistungstests wurden die Leistungen von 52.000 Schüler/innen der Klassen 3-11 an 800 Schulen in Kanada und den USA über vier Jahre hinweg evaluiert.

Die Ergebnisse sind bis heute bemerkenswert: Die Schüler/innen haben in jeder Altersstufe durchgängig besser abgeschnitten als die Vergleichsgruppen an anderen Schulen. Überdurchschnittlich waren sie in den MINT-Fächern1, in wissenschaftlichen Methoden sowie in ihrer Problemlösungskompetenz. Zusätzlich überraschte, dass die Schüler/innen an adventistischen Schulen, gemessen an ihren kognitiven Fähigkeiten, deutlich und konsistent über ihrem prognostizierten Leistungsniveau lagen. Offensichtlich üben kleinere Schulen einen positiven Einfluss auf den schulischen Erfolg aus. Je länger die Schüler/innen im adventistischen Schulsystem waren, desto besser waren ihre schulischen Leistungen.

Die sich anschließende „DecisionGenesis“-Studie ging der Fragestellung nach, ob die Weltanschauung der Schüler/innen ihre kognitiven Kompetenzen sowie ihr Leistungsniveau beeinflussen. Die Ergebnisse zeigen: Eine ganzheitlich-biblische Weltanschauung sowie geistliche Einflussfaktoren unterstützen die schulische Leistungsfähigkeit signifikant.

Unsere Wurzeln verstehen – Zukunft braucht Herkunft

Bedeuten diese Ergebnisse, dass wir kaum Veränderungsbedarf haben? Sicher nicht! Lassen sich diese Studien auf unseren Kulturkreis übertragen? Ansatzweise schon. Um unsere Schulentwicklung auf eine solide Datenbasis zu stellen, wird nun in Zusammenarbeit mit der La Sierra Universität eine vergleichbare Studie für adventistische Schulen im deutschsprachigen Raum durchgeführt.

Wesentliche Impulse für die zukünftige Entwicklung erhalten wir auch aus unserer Herkunft, unserem Auftrag. Unsere Wurzeln stammen aus den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts. Die Millerbewegung war eng mit den ganzheitlichen Reformvorstellungen des Oberlin-Colleges, Ohio, verbunden. Das Motto: Lernen und arbeiten. Benannt nach Johann Friedrich Oberlin (1740-1826), ein protestantischer Pastor aus dem Elsass, der durch Zugang zu Bildung und Schaffung von Arbeitsplätzen vielen Notleidenden in den Vogesen einen Weg aus der Armut ermöglichte. Oberlin gründete neben Betrieben insbesondere Schulen für die Mittellosen und integrierte praktische manuelle Tätigkeiten in das Curriculum. Er stand in Verbindung mit anderen Reformpädagogen wie Pestalozzi (1746-1827) und Fröbel (1782-1852).

Das Oberlin-College stand damals für die Bibel als integraler Bestandteil des Lehrplans, Wahlfächer, Stärkung des Sozialverhaltens und der Selbstständigkeit, Persönlichkeitsentwicklung und kritisches Denken. Aber auch gesunde körperliche Arbeit, Gemüse- und Gartenbau, Holz- und Metallbau, Krankenpflege, Unternehmertum sowie Dienst am Mitmenschen und Mission gehörten zur Schulausbildung. Die Reformpädagogik, die am Oberlin-College praktiziert wurde, erweiterte Ellen White später. Das ganzheitliche Bildungsverständnis umfasst die Entwicklung von „Mindset“ (Verstand), „Healthset“ (Körper), „Soulset“ (geistlicher Bereich) und „Heartset“ (emotionaler Bereich). Im adventistischen Madison-College wurde ab 1904 dieser Gedanke von E.A. Sutherland praktisch umgesetzt und gilt heute noch als eine wesentliche Blaupause für adventistische Bildung.

Ellen White verdeutlichte, dass Erziehung und Erlösung im höchsten Sinn ein und dasselbe sind. Im Wesen bedeutet echte Erziehung, die ursprünglichen Prinzipien Gottes im Lebensalltag wieder zur Geltung zu bringen. Die persönliche Verbindung mit Gott stellt die wesentliche Voraussetzung für erfolgreiche (Schul-)Bildung dar. Das Ziel ist, jungen Menschen Leuchtkraft zu geben, für das Leben hier, im Dienst am Menschen und in Gottes neuer Welt.

Unser adventistisches Profil schärfen – den „Oberlin-Faktor“ entdecken

Was heißt das nun für unsere Schulen? – Um uns weiterzuentwickeln und Vergessenes wieder neu aufzunehmen, haben wir das Projekt „Bildungsmanufaktur“ initiiert. Eine Manufaktur ist bekannt dafür, dass qualitativ hochwertige Unikate in mühevoller Handarbeit hergestellt werden. Dieser Vergleich soll verdeutlichen, dass wir „manuelle Bildung“ in Form von Lebenskompetenzen und Berufsausbildung stärken wollen. Die Aufgabe: Schule neu denken, meisterhaft werden – ausgewogene und wirkungsvolle Persönlichkeiten fördern, die der Gesellschaft dienen und über kognitive, handwerkliche, geistliche und soziale Kompetenz verfügen. Jeder hat sich schon einmal gefragt, warum lernen wir in der Schule nicht, wie eine Steuererklärung geht, wie man Autos oder Fahrräder repariert, wie man einfache Hausmittel anwendet, Biogemüse auf dem Schulacker anbaut und – ökologisch nachhaltig – vegan kocht? Wir brauchen „Life Skills“, die uns zukunftsfähig machen.

Adventistische Schule von morgen braucht den „Oberlin-Faktor“, muss Einfluss nehmen. Neben dem Schulabschluss und praktischen Fertigkeiten soll sie auch mit einer Berufsausbildung aufs Leben vorbereiten. Schülerfirmen machen Schule zu einem sozialen Ökosystem aus Handwerkern, Unternehmern und Mentoren. Lernorte für Naturwissenschaften sind nicht nur der Fachraum, sondern zuerst die Natur, die Schöpfung. Schule von morgen steht auch für digitale Kompetenz und Mediengestaltung. Doch Medienkompetenz zeigt sich auch darin zu wissen, wo der Aus-Knopf ist. Denn wie der amerikanische Sprecher und Coach Jim Rohn sagt: Opfer haben große Fernseher, Persönlichkeiten haben große Bibliotheken. Die neurowissenschaftliche Forschung der letzten Dekade zeigt zudem: Schon nach einem Jahr Musikunterricht haben Schüler/innen einen um acht bis neun Punkte höheren Intelligenzquotienten, musizierende Kinder stärken ihr Gehirn. Schule neu gedacht muss daher Musik noch gezielter in den Lernalltag integrieren.

An einzelnen Schulstandorten haben wir bereits Veränderung und Erneuerung initiiert. Wir benötigen dabei die Unterstützung der Schulgemeinschaft, Schüler/innen, Eltern, Lehrkräfte, Kirchengemeinden und anderen Partnerschaften. Gemeinsam schaffen wir Zukunft. Nach und nach wird das Projekt im Schulalltag sichtbarer werden. Doch wir wissen, es ist ein langer Weg – ein Marathon. Robin Sharma schrieb: „Beständigkeit ist die DNA der Meisterhaftigkeit.“

Der Architekt und Innovator R. Buckminster Fuller sagte sinngemäß: Verändern kann man nur, wenn man ein neues Modell erschafft, welches das Vorhandene ersetzt. Machen wir uns auf, gemeinsam adventistische Schule neu mit Leuchtkraft zu schaffen. An der ältesten adventistischen Bildungseinrichtung in Deutschland entstand 1915 auch unsere erste Grundschule. An der Hauswand dieses Gebäudes, das damals bezeichnenderweise „Neue Schule“ genannt wurde, steht: „Mache dich auf, und werde licht!“ (Jesaja 60,1). Dies ist unser Auftrag, damals wie heute.

Anmerkungen:

1 MINT-Fächer ist eine zusammenfassende Bezeichnung von Unterrichts- und Studienfächern aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik.

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