Wie stehen wir als Christen zum Krieg?

Glaube
Wie stehen wir als Christen zum Krieg?

Ethische Fragen auf dem Prüfstand

Die Bilder vom Krieg in der Ukraine machen Angst. Sie bereiten uns Sorgen. Sie lösen möglicherweise auch böse Erinnerungen an die eigene leidvolle Geschichte aus. Für Christen ergibt sich sofort eine ethisch-moralische Fragestellung: Wie stehen wir zum Krieg? Gibt es einen „gerechten“ Krieg1, an dem wir uns beteiligen können? Hat nicht das Volk Israel im Alten Testament Kriege im Namen Gottes geführt? Dürfen Christen im Militär kämpfen? Oder wenigstens als Sanitäter das Leid lindern, so wie Desmond Doss2? Sind wir als Adventisten nicht irgendwie geteilter Meinung, wenn vor über 100 Jahren Conradi dem Militärdienst positiv gegenüberstand, sich die Leitung der Generalkonferenz dem aber nicht anschließen konnte? Johannes Kovar widmet sich diesen Fragen und schlägt vor, sie der Reihe nach zu betrachten.

Das Alte Testament
Ja, es stimmt: Im AT gab es Angriffskriege, die im Auftrag Gottes oder zumindest in seinem Namen geführt wurden (2 Mose 14,13; 17,9-16; 4 Mose 31,7; 5 Mose 1,30; 7,23-24; 20,4; Jos 10,14.25-26; 23,3). Ist es legitim, diese lange Liste an Beispielen für die heutige Zeit herzunehmen, um Kriegsführung zu rechtfertigen?

Ausgelöst durch diese Kriegsberichte des AT, in denen Gott eine gewisse Rolle spielt, stellen wir uns Fragen über das Wesen Gottes. Wenn er allmächtig ist, dann kann er nicht gut sein, weil er ja sonst das Böse stoppen würde. Oder, wenn er gut ist, dann ist er nicht gleichzeitig auch allmächtig, weil er offensichtlich nicht in der Lage ist, dem Bösen Einhalt zu gebieten. Unser Gottesbild steht da auf dem Prüfstand.

Wenn wir genau hinsehen, stellen wir fest, dass das AT vom Bundesgedanken geprägt ist. Gott schließt mit dem Volk Israel einen Bund. Das bedeutete nach damaligem Verständnis, dass einem im Kriegsfall der Bündnispartner zur Seite stehen musste. In gewisser Weise erfüllte Gott sein Versprechen, wenn er Israel dabei half, das Land Kanaan zu erobern. Jedenfalls tat er das so lange, wie das Volk ein loyaler Bündnispartner war. Beim Auszug aus Ägypten führte Gott selbst den ersten „heiligen“ Krieg3 (2 Mose 14,14). Dabei ist das in der Kriegsführung völlig ungeübte Israel gar nicht wirklich am Sieg über die ägyptische Armee beteiligt. Genau das wäre eigentlich das göttliche Ideal gewesen: Sein Volk braucht gar nicht im Kriegsgeschehen involviert zu sein. Tatsächlich war es so, dass immer, wenn Israel völlig auf Gott vertraute und trotzdem mit seinen Feinden konfrontiert war, Gott eingriff und auf wundersame Weise den Sieg errang. Die besten Beispiele dafür sind Hiskia, der nicht wirklich aktiv werden musste (2 Kön 19,2; 2 Chr 32; Jes 37), und Josaphat (2 Chr 20,20). Ellen White bestätigt diesen Gedanken: „Sie sollten das Gelobte Land nicht durch einen Feldzug erlangen, sondern durch striktes Befolgen seiner Gebote.“4 Anders sieht es im Kampf gegen die Amalekiter aus (2 Mose 17,8-16).

Das Volk hatte begonnen, gegen Mose und Gott zu murren. Das Vertrauensverhältnis war gestört. Offensichtlich wollte Gott Israel zu größerem Glauben führen, und so ließ Gott sie am Krieg teilhaben (Jos 7,12-13; 10,8). Diese Vorgehensweise stellte aber nicht Gottes bevorzugten Plan A dar.

Der anschließende Bericht über die Eroberung Kanaans zeigt, dass Krieg hauptsächlich gegen die befestigten Städte als Zentren der heidnischen Kultur und des Götzendienstes gerichtet war (z.B. Jos 11,12). Wiederholt lesen wir, dass eine Stadt erobert und der Bann an allen Bewohnern vollstreckt wurde. Allerdings war diese vollständige Ausrottung zeitlich auf die Landnahme und geographisch auf Kanaan beschränkt. Wenn sich aber jemand aus der götzendienerischen Bevölkerung zu Gott bekehrte, überlebte diese Person bzw. Familie, wie das Beispiel von Rahab sehr schön zeigt (Jos 6). Bei späteren Kriegen – so der Plan Gottes – sollte den Feinden zuerst ein Friedensangebot gemacht werden (5 Mose 20,10-15). Später schenkte Gott dem König David zwar noch Siege über die Philister (1 Sam 17), aber verbot David, den Tempelbauin Angriff zu nehmen, weil er zu viel Blut vergossen hatte (1 Chr 22,8). Hier kommt wieder durch, wie Gott den Krieg bewertet.

Wieder einige Zeit später sprechen die Propheten vom ursprünglichen Plan Gottes, der durch den verheißenen Friedensfürst (Jes 9,5) hätte verwirklicht werden sollen. Dann wären die Schwerter zu Pflugscharen geschmiedet worden (Jes 2,4; Mi 4,3) und die Menschen hätten gelernt, keinen Krieg mehr zu führen. Was auf nationaler Ebene damals noch nicht umgesetzt werden konnte, wird aber auf der neuen Erde durch Gott Wirklichkeit werden (Offb 21; 22).

Das Neue Testament
Im NT kommt der Wille Gottes für Jesu Nachfolger noch klarer zum Ausdruck. Aber blicken wir zuerst auf den historischen Kontext: Im 2. Jahrhundert v. Chr. kam es zum jüdischen Makkabäer-Aufstand gegen die Besatzungsmacht der Seleukiden, später in den Jahren 66-74 n. Chr. zur blutigen Revolte gegen die Römer. Im jüdischen Denken damals waren diese militärischen Aktionen ethisch in Ordnung. Sogar einer der Jünger Jesu gehörte zur Partei der Zeloten (Lk 6,15), die mit Waffengewalt eine Befreiung vom römischen Joch anstrebten.

Die Lehre Jesu in der Bergpredigt bildet dazu einen Gegenpol: Er lobt die Sanftmütigen (Mt 5,5) und die Friedensstifter (Mt 5,9). Er propagiert auch im weiteren Verlauf seiner Rede Gewaltlosigkeit. Jesus geht dann auf das Gesetz ein, in dem steht: „Du sollst nicht töten“, interpretiert es und führt aus, dass schon dem Bruder zu zürnen eine Übertretung darstellt (Mt 5,21-22). Jesus geht noch weiter: Er stellt sich gegen jede persönliche Form von Aggression und Vergeltung (Mt 5,38-39). Damit war im Verständnis der alten Kirche jegliche Form von Kriegsdienst nicht mehr möglich, wie wir es auch bei Franz von Assisi, Erasmus, den Täufern, den Böhmischen Brüdern, Mennoniten und Quäkern finden. Schließlich erreicht Jesus den Höhepunkt seiner Ausführungen: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde …“ (Mt 5,44) Dieses Liebesgebot gilt im AT für den Nächsten (3 Mose 19,18), aber Jesus dehnt es sogar auf die Feinde aus. Universeller kann Jesus es gar nicht ausdrücken. Dieses Liebesgebot steht in deutlichem Kontrast zur Anwendung jeglicher Form von Gewalt und Krieg.

Die Apostel als Nachfolger Jesu drücken die gleichen Gedanken aus. Paulus schreibt: „Segnet, die euch verfolgen … Vergeltet niemand Böses mit Bösem … Wenn möglich, soviel an euch ist, lebt mit allen Menschen in Frieden! Rächt euch nicht selbst, Geliebte … Wenn nun deinen Feind hungert, so speise ihn; wenn ihn dürstet, so gib ihm zu trinken! Denn wenn du das tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ (Röm 12,14-20). Im Denken Jesu und der Apostel gibt es also keinen Platz für Gewalt und Vergeltung, daher auch nicht für irgendeine Form von Krieg.

Adventgeschichte
In den Jahren 1861-1865 herrschte in den USA Bürgerkrieg. Genau in diese Zeit fällt die Gründung unserer Freikirche. Die Auseinandersetzung forderte die frühen Adventisten heraus: Einerseits wollten sie der Bergpredigt („liebt die Feinde“) und den Zehn Geboten („du sollst nicht töten“) folgen, andererseits waren sie bemüht, dem Staat gegenüber loyal zu sein. Unsere Kirche empfahl daher, sich nicht freiwillig zum Kriegsdienst zu melden, und versuchte, bei den Behörden einen Nicht-Kämpfer-Status aus Gewissensgründen zu erreichen. Für eine noch sehr unbedeutende kleine Kirche eine gewagte Bitte. Es gelang schließlich, viele Adventisten durch Bezahlung eines hohen Geldbetrags vom Militärdienst freizukaufen, allerdings kämpften andere Adventisten trotzdem an der Front. Nach dem Bürgerkrieg, am 14.05.1867, veröffentlichte unsere Kirche ein klares Statement gegen jegliche Beteiligung an kriegerischen Handlungen: „Beschlossen. Es ist die Überzeugung dieser Konferenz, dass das Tragen von Waffen oder das Führen eines Krieges eine direkte Verletzung der Lehren unseres Erlösers und des Geistes und des Buchstabens des Gesetzes Gottes darstellt.“5

Der Erste Weltkrieg (1914-1918) stellte erneut eine große Herausforderung dar. Ludwig Conradi ignorierte die Nicht-Kämpfer-Haltung und erlaubte Adventisten in Deutschland, als Soldaten im Krieg zu kämpfen. Er verlangte von ihnen in Kriegszeiten nicht einmal das Halten des Sabbats. Etliche Adventisten sahen das anders. Manche dienten zum Beispiel den Menschen als Sanitäter im Krieg. Andere konnten selbst diesem gemäßigten Standpunkt nichts abgewinnen und beharrten darauf, dass Adventisten überhaupt nichts mit Kriegsdienst zu tun haben sollten. Sie nahmen dafür auch harte Bestrafung in Kauf. Eine sowjetische Studie aus den 1930er-Jahren behauptet, dass die Adventisten die drittgrößte Gruppe derer darstellte, die sich aus religiösen Gründen weigerten, im Ersten Weltkrieg Waffen zu tragen.

Die anfängliche Position unserer Freikirche hat im Laufe des 20. Jahrhundert durchaus einen Wandel erlebt. Besonders während des Zweiten Weltkriegs wurde kontrovers diskutiert. Das führte dazu, dass etliche Adventisten argumentierten, dass man sich sehr wohl gegen eine extrem nationalistische Diktatur wehren müsse – hier wurde natürlich Hitler-Deutschland angesprochen. Diese Position hatte auch den Vorteil, dass man nicht als feige verschrien wurde. Das Beispiel von Desmond Doss zeigt, dass auch der amerikanische Staat den selbstlosen Heldenmut von Sanitätern im Krieg zu würdigen wusste. Andere, wie es die spannende Familiengeschichte Hasel erzählt6, waren zwar gezwungener Weise an der Front im Einsatz, schafften es aber mit Gottes Hilfe, von ihren Waffen keinen Gebrauch zu machen. Wieder andere starben aufgrund ihrer Weigerung und Gewissensüberzeugung als Märtyrer, was durchaus bewundernswert ist.

Der Vietnamkrieg (1955-1975) führte innerhalb der Adventgemeinde zu neuen Diskussionen. So entschloss man sich 1972 dazu, weiterhin den Nicht-Kämpfer-Status zu empfehlen. Die Praxis zeigte jedoch, dass die offiziellen Empfehlungen immer weniger Gewicht hatten und auch adventistische Soldaten an Kriegshandlungen am Persischen Golf (1990-1991)7 und später in Afghanistan und im Irak (ab 2001) beteiligt waren. Trotz unseres klaren Nicht-Kämpfer-Status ist die Diskussion um den Militärdienst nicht in den Hintergrund gerückt, sondern wird angesichts aktueller politischer Ereignisse weiter fortgeführt. Es genügt eben nicht, als Freikirche einfach nur ein Statement zu geben, sondern es ist wichtig, mit den Geschwistern weiterhin über dieses Thema im Gespräch zu bleiben.

Ethische Herausforderungen
Wer sich als Christ oder Siebenten-Tags-Adventist dem Militär anschließt, wird früher oder später mit ethischen Fragestellungen konfrontiert sein. Manche gehen zur Armee, weil sie dort günstig zu einer Berufsausbildung kommen, andere vielleicht, um ihre Familien und ihr Land zu verteidigen. Trotzdem dürfen wir nicht übersehen, dass im Ernstfall jeder Staat auch mit unlauteren Mitteln kämpfen wird – und da tut sich schnell ein Gewissenskonflikt auf.

Bevor man den Schritt in die Armee geht, sollte man sich also fragen: Wem will ich loyal sein? Meinem Staat oder Gott und seinem Wort? Kann ich dem Staat einen Treueeid schwören? Wie kann ich es vereinbaren, dass die Bibel ein Liebesgebot den Feinden gegenüber formuliert, ich im Militär aber darauf trainiert werde, den Feind zu töten? Wie gehe ich damit um, dass im Kriegsfall viele der Zehn Gebote nicht mehr eingehalten werden können (töten, lügen, stehlen, begehren, Sabbatruhe)? Selbst als Sanitäter sollte man sich die Frage stellen, ob man im Krieg seinen Glaubensüberzeugungen wirklich treu bleiben kann…

Meine Schlussfolgerungen
Für mich persönlich sind gelebtes Christentum und Militärdienst einfach nicht kompatibel. Uns muss klar sein, ich kann mich nur für das eine oder das andere entscheiden. Speziell die Bergpredigt steht im Gegensatz zu jeglicher Beteiligung an Gewalt und Krieg. Daher lautet meine Empfehlung an alle jungen Leute, nicht freiwillig zum Militär zu gehen. Die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland kann sich auch ändern: Derzeit ist der verpflichtende Militärdienst zwar ausgesetzt, kann aber im Krisenfall wieder aufleben. Sollte der Krieg zwischen Russland und der Ukraine länger dauern oder auf andere Länder überspringen, könnte das in Deutschland eine neue Diskussion über die Wehrpflicht auslösen.

Wir kennen die Zukunft zwar nicht, können aber jetzt persönliche Vorsätze für den Krisenfall fassen und Weichen stellen. Lasst uns auf Gewalt verzichten und „Friedensstifter“ sein.

Wer sich zum Thema noch mehr informieren will, dem möchte ich folgendes Buch empfehlen: „Adventists and Military Service: Biblical, Historical and Ethical Perspectives“.

Quellen:
1 Eine Übersicht bietet https://de.wikipedia.org/wiki/Gerechter_Krieg. 2 Siehe https://www.adventist.org/religious-liberty/desmond-doss. 3 „Heiliger Krieg“ ist ein von Theologen verwendeter Ausdruck, der aber nicht impliziert, dass wir uns heute auch an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligen dürfen. 4 Ellen White, Wie alles begann, Wien: Krattigen: Advent-Verlag / Wien: Top Life Wegweiser-Verlag, 2017, 371. 5 „War“, Fifth Annual Session, General Conference of Seventh-day Adventist, May 14, 1867 (https://documents.adventistarchives.org/Minutes/GCSM/GCB1863-88.pdf). 6 Susi Hasel Mundy, Mit Gott an unserer Seite, Lüneburg: Advent-Verlag, 2003. 7 Adventistische Schätzungen gehen von ca. 2000 – 2500 adventistischen Soldaten im Kriegsgebiet aus.

 

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