Absolute und zeitbedingte inspirierte Aussagen

Bibel
Absolute und zeitbedingte inspirierte Aussagen

Wie wir die Wahrheit besser verstehen können

Sind wirklich alle biblischen Aussagen für immer gültig oder muss manches in der heutigen Zeit differenzierter betrachtet werden? Frank Hasel geht in diesem Artikel dieser Frage nach und gibt Antworten, die helfen können, die Bibel und das Schrifttum von Ellen White richtig auszulegen.

Es gibt Menschen, die den Aussagen der Bibel keine verbindliche Bedeutung zumessen, weil sie meinen, dass vieles in der Bibel nur kulturell bedingt und damit relativ sei. Adventisten glauben, dass die Bibel aufgrund ihrer göttlichen Offenbarung und Inspiration zeitübergreifende Gebote und Werte enthält, die auch heute noch verbindlich sind. Aufmerksame Bibelleser stellen jedoch rasch fest, dass es einige Vorschriften und Gebote in der Bibel gibt, die von vielen Christen heute nicht mehr befolgt werden. Das wirft berechtigte Fragen auf: Müssen wir alle Vorschriften der Bibel heute noch befolgen? Und wenn nicht: Gibt es innerbiblische Richtlinien und Prinzipien, die uns helfen zu unterscheiden, was heute noch verbindlich ist und was nicht? Ähnliches gilt auch im Hinblick auf Aussagen, die Ellen White in ihrem Schrifttum gemacht hat. Dieser ganze Themenkreis ist sehr komplex. Im Rahmen des begrenzten Umfangs dieses Artikels ist es nicht möglich, auf alle Aspekte einzugehen. Trotzdem möchte ich ein paar grundlegende Dinge ansprechen, die helfen können, mit solchen Fragen weise umzugehen.

Vorschläge zum Erkennen von transkulturellen Aussagen
Die folgenden Prinzipien können helfen, um zu entscheiden, ob Aussagen der Bibel (oder Ellen Whites) universale Gültigkeit haben.

Steht eine Aussage mit Gottes sittlicher Natur in Verbindung?
In der Bibel haben Aussagen dann universale Bedeutung, wenn ein deutlicher Zusammenhang mit dem Charakter Gottes und seinem Wesen erkennbar wird. Die Bibel lehrt zum Beispiel, dass wir einander so lieben sollen, wie Gott uns geliebt hat (1 Joh 4,11), oder dass wir so heilig sein sollen, wie Gott heilig ist (1 Petr 1,16; 3 Mose 11,44), oder dass wir einander so vergeben sollen, „wie Gott in Christus euch vergeben hat“ (Eph 4,32). Diese Eigenschaften des göttlichen Charakters sind kulturübergreifend und sollen im Leben aller Gläubigen sichtbar werden. Gleiches gilt für die Zehn Gebote. Sie stehen im deutlichen Zusammenhang mit Gottes Wesen und seinem Willen. Weil Gott der einzig wahre und lebendige Schöpfergott ist, soll Er allein angebetet werden. Sein Name soll geehrt (2 Mose 20,7), und sein Ruhetag, der Sabbat, geheiligt werden (2 Mose 20,1-11). Weil Gott der Geber allen Lebens ist, ist es Menschen verboten, Leben zu nehmen (2 Mose 20,13). Weil Gott die Wahrheit ist, sind wir aufgerufen, kein falsches Zeugnis zu geben (2 Mose 20,16). Gleiches gilt auch für die anderen Gebote des Dekalogs. Es verwundert nicht, dass diese Gebote im Alten und Neuen Testament, also in ganz unterschiedlichen kulturellen Kontexten, oft wiederholt werden. Weil Gott sich nicht wandelt, haben auch die Zehn Gebote als sittliche Normen universale Gültigkeit, die Zeit und Kultur überdauern. Darüber hinaus sagt die Bibel uns, dass die Zehn Gebote direkt auf Gott als Autor zurückgehen und Gott sie selbst verfasst hat (2 Mose 31,18; 5 Mose 9,11).

Beachte den Zusammenhang einer Aussage

In der Beurteilung, ob eine biblische Aussage einen universalen Anspruch hat oder nicht, ist es wichtig, den unmittelbaren und weiteren (historischen) Kontext zu berücksichtigen, in dem die Aussage gemacht wurde. Auch die Begründung, die damit verknüpft wird, ist wichtig. Besondere Aufforderungen an einzelne Personen in der Bibel haben mitunter nur eingeschränkte Bedeutung und sind nicht notwendigerweise auf alle übertragbar. Zum Beispiel forderte Jesus den reichen jungen Mann auf, hinzugehen und alles zu verkaufen, was er hat (Mk 10,21). Das ist ein konkreter Auftrag an diese Person, aber kein Gebot, das für alle Menschen gilt. Andererseits gibt es Texte in der Bibel, die bestimmte Laster und Tugenden auflisten, die Verhaltensweisen und Charakterzüge beschreiben, von denen sich die biblischen Schreiber wünschen, dass wir sie meiden bzw. sie in uns sichtbar werden (z.B. 1 Tim 1,9-10; Spr 6,16-19; Kol 3,5-9; Eph 4,31-32, etc.). Universal geltende Normen und Gesetze stimmen auch mit der gesamten fortschreitenden und sich weiterentwickelnden Offenbarung überein.

Ist das Gebot in Gottes Schöpfungsordnung verankert?
Überzeitliche Normen, die universale Bedeutung haben, sind häufig auch in Gottes Schöpfung verankert. Im Hinblick auf die Gültigkeit der Ehe verweist Jesus seine Fragesteller zum Beispiel zurück auf die Schöpfung (Mk 10,6.9) und macht damit deutlich, dass die Ehe zwischen einem Mann und einer Frau in Gottes Schöpfungsordnung verankert und deshalb die Norm für alle Eheverbindungen ist. In ähnlicher Weise ist der Siebente-Tags-Sabbat in der Schöpfung Gottes verwurzelt und von daher von bleibender moralischer Bedeutung für die Menschheit, wie es auch im vierten Gebot bestätigt wird (2 Mose 20,8-11).

Handelt es sich um Zivil- oder Zeremonialgesetze?
Ein beträchtlicher Teil des Pentateuchs (5 Bücher Mose) befasst sich mit kultischen Vorschriften, die mit dem Heiligtum und den Opferzeremonien zu tun haben, und diese regeln, wie zeremonielle Unreinheit behandelt wird. Schon ihre Anordnung im biblischen Text wie auch der Zusammenhang, in dem sie gegeben wurden, machen deutlich, dass die Zehn Gebote einen anderen Charakter haben und deshalb nicht zeremoniell sind.1 Darüber hinaus macht die Bibel selbst deutlich, dass zeremonielle Handlungen, die den Opfertod Jesu vorausgeschattet haben, in Jesus Christus ihre Erfüllung fanden und deshalb heute nicht mehr notwendig sind (Joh 1,29; 1 Kor 5,7; Kol 2,14-17; Hebr 10,1-10). Auch die Beschneidung, als Kennzeichen der Zugehörigkeit zum Volk Gottes, ist biblisch nicht mehr nötig (Gal 5,6). Andere alttestamentliche Gesetze betreffen zivile und rechtliche Aspekte, die mit dem Volk Israel als Nation und Staat zu tun haben.2 Weil das Volk Gottes heute nicht mehr identisch ist mit einer politischen Nation, sind auch diese Gesetze nicht eins zu eins umsetzbar. Gleichwohl können wir von den Prinzipien dieser Gesetze auch heute noch lernen und profitieren.

Und wie ist das mit Aussagen von Ellen White?
Ähnliche Prinzipien können uns auch helfen, im Schrifttum von Ellen White zu erkennen, was universal gültig ist. Wenn Dinge, die sie schreibt, mit Gottes Charakter und seinem Wesen in Zusammenhang stehen oder gleiche Aussagen in unterschiedlichen Kontexten Erwähnung finden, dann ist es ein Hinweis auf ihre überzeitliche Gültigkeit. Wenn Ellen White Bezug auf konkrete Visionen und Mitteilungen Gottes nimmt, in der ihr bestimmte Dinge gezeigt wurden, dann ist es nicht ihre Privatmeinung. Ferner ist es wichtig, den jeweiligen Zusammenhang ihrer Aussagen zu berücksichtigen. Wenn sie konkrete Personen und Situationen anspricht, dann zielen ihre Aussagen auf diese Personen und Situationen, auch wenn Prinzipien, die darin zur Sprache kommen, durchaus in anderen Kontexten Anwendung finden können.

Es gilt auch zu beachten, dass Ellen White selbst sagte, dass nicht alles, was sie jemals gesagt oder geschrieben hat, immer inspiriert war. Mitunter machte sie Aussagen über ganz gewöhnliche Dinge, die keinen religiösen Inhalt und keinen geistlichen Hintergrund haben. Sie schrieb z.B. Einkaufszettel, sprach über ihre Enkelkinder, äußerte sich über das Wetter oder berichtete, was sie in ihrem Garten erledigte. Hier sind ihre eigenen Worte darüber: „Zu gewissen Zeiten müssen ganz gewöhnliche Dinge besprochen werden, gewöhnliche Gedanken müssen durchdacht, gewöhnliche Briefe geschrieben und Informationen gegeben werden, die von einem Mitarbeiter an den anderen weitergegeben wurden. Solche Worte und Informationen sind nicht unter dem besonderen Einfluß des Geistes Gottes gegeben worden. Gelegentlich werden Fragen gestellt, die in keiner Weise religiöse Dinge betreffen, und diese Fragen müssen beantwortet werden. Wir sprechen über Häuser und Ländereien, Geschäfte, die abgewickelt werden müssen, und Standorte für unsere Institutionen, ihre Vorteile und Nachteile.”3 Im Jahr 1909 machte sie z.B. eine Äußerung über die Anzahl der Zimmer, die es im Paradise Valley Sanatorium gab. In einem Brief sprach sie von 40 Zimmern, wenngleich es nur 38 Zimmer gab.4 Leute, die ihr Schrifttum studieren, sollten diese gewöhnlichen Dinge von ihren geistlichen und biblischen Inhalten sorgfältig unterscheiden. Tatsache ist, dass Ellen White das Augenmerk ihrer Leser schnell auf geistliche Bedürfnisse lenkt, oder Dinge behandelt, die mit der Gemeinde und unserem Auftrag zu tun haben. Wenn von ihr solche geistlichen Aspekte behandelt werden, ist das ein Hinweis, dass ihre Aussagen eine Botschaft enthalten, die über gewöhnliche Details hinausgeht. Nur ein sehr kleiner Teil von Ellen Whites veröffentlichten Schriften behandelt gewöhnliche Dinge, wie jeder aufmerksame Leser schnell feststellen kann. Deshalb gilt, was sie selbst von sich sagt: „In den Briefen, die ich schreibe, in den Zeugnissen, die ich vortrage, stelle ich euch das vor Augen, was der Herr mir gezeigt hat. Ich schreibe nicht einen Artikel in der Zeitschrift, der ausschließlich meine eigenen Gedanken enthält. Sie sind das Ergebnis dessen, was Gott mir im Gesicht offenbart hat.”5 Das trifft auch auf ihre zahlreichen Bücher zu.

Interessanterweise war für Ellen White nicht nur die richtige Auslegung eines Bibelabschnitts wichtig, sondern auch die Gesinnung und der Geist, in dem jemand seine Gedanken dazu vorträgt. Im Jahr 1888, als im Zusammenhang mit der Sitzung der Generalkonferenz einige Anwesende immer noch kritisch gegenüber Ellen White und den Brüdern Jones und Waggoner eingestellt waren, benannte sie den negativen und unchristlichen Geist, in dem Ansichten über das Gesetz im Galaterbrief vorgetragen wurden. An eine solche Person gerichtet schrieb sie: „Ich habe Angst vor dir und ich habe Angst vor deiner Auslegung aller Schrift, die sich in einem solch unchristlichen Geist offenbart, wie du ihn gezeigt hast und das hat mir so viel unnötige Arbeit gemacht. [...] ich fürchte jede Anwendung der Schrift, die einen solchen Geist benötigt und solche Früchte trägt, wie sie bei dir sichtbar wurden.“6 Hier können wir lernen, dass es nicht nur wichtig ist, sorgfältig in unserer Auslegung inspirierter Aussagen zu sein. Wir haben auch eine Verantwortung, wie wir unsere Ansichten und Überzeugungen vertreten und in welchem Geist und welcher Gesinnung wir auftreten.

Quellen: 1 Siehe Richard M. Davidson, „Offenbarung und Inspiration im Alten Testament: Eine Kritik an Thompsons ,Inkarnationsmodell‘“ in Frank Holbrook und Leo Van Dolson, Hrsg., Offenbarung und Inspiration: Biblische Antworten auf knifflige Fragen (Adventist Book Center: Adventist Theological Society, 2008), 163-164. 2 Die Gebote zur Unterscheidung zwischen reinen und unreinen Tieren sind keine zeremoniellen Gesetze. Das existierte schon zu Noahs Zeiten (1 Mose 7,2). Es gibt keine Vorschriften und Handlungen, die ein unreines Tier von seiner Unreinheit befreit hätten, was darauf hindeutet, dass es sich um eine kategorische Unreinheit handelt. Deshalb ist die Beachtung dieser Gebote überzeitlich. Siehe Gerhard F. Hasel, “The Distinction Between Clean and Unclean Animals in Lev 11: Is it Still Relevant?” Journal of the Adventist Theological Society, 2/2 (1991): 103-104. 3 Ellen G. White, Für die Gemeinde geschrieben, (Hamburg: Advent-Verlag, 2000), Bd. 1, 40 (1SM, 39). 4 Die Schilderung dieser Begebenheit kann man nachlesen in Herbert E. Douglas, Messenger of the Lord: The Prophetic Ministry of Ellen G. White (Nampa, ID: Pacific Press, 1998), 380. 5 Ellen G. White, Für die Gemeinde geschrieben, Bd. 1, 29 (1SM, 29). 6 Ellen G. White, Letter 83, 1890, in MR, vol. 9, p. 330.

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